Wie ich, als Westdeutsche, 1982 die DDR erlebte!

Die Geschichte einer Westdeutschen in der DDR

Vorgeschichte und Idee

Die Geschichte einer Westdeutschen in der DDRMeine Geschichte, über die ich berichten will, beginnt mit meiner Heirat. Im Jahre 1972 heiratete ich Clemens Schröder- Etzdorf, den Sohn des ehemaligen Gutsbesitzers Dr. Max Schröder aus Etzdorf.

Ich kam als Schwiegertochter in eine Familie, die nach Flucht und Vertreibung aus Etzdorf im „Westen“ eine neue Heimat fand.

Mit meinen Schwiegereltern, die zuletzt in Göttingen wohnten, und ihren Kindern Sigrid, Marie-Luise, Klaus und meinem Mann Clemens saßen wir oft zusammen und es wurde viel von früher erzählt, besonders wie das Leben auf dem Gut in Etzdorf gewesen ist.

Da ich jedoch alles nur vom Hörensagen kannte, machte es mich neugierig, und so reifte in mir schließlich 1982 der Plan, einmal in die DDR und nach Etzdorf zu fahren. Sigrid und Marie-Luise wollten mich auf dieser Reise begleiten.

Nun war es für Mitglieder der Familie Schröder-Etzdorf nicht ganz risikolos als ehemalige Republikflüchtige in die DDR zu reisen (1950 floh die Familie bei Nacht und Nebel über die grüne Grenze. Clemens hat in einem früheren „Steudener Brief“ (2014) über diese Flucht berichtet). Als Sohn des ehemaligen Großgrundbesitzers wollte Clemens dieses Risiko nicht eingehen, obwohl von der DDR versichert wurde, diese Gesetzesübertretung der Republikflucht wäre verjährt und würde nicht mehr geahndet.

Damals gab es eine Regelung mit der DDR: Wenn eine Reise pauschal mit Hotelübernachtung in einem Reisebüro in der Bundesrepublik gebucht und bezahlt wurde (das brachte Devisen!!), erleichterte und beschleunigte dies die Einreisegenehmigung für Westdeutsche Bürger.

Anreise

Also gesagt, getan. Am 1. Mai 1982 fuhren wir los, nachdem mein Schwiegervater die Reise für uns organisiert und Zimmer in Halle im damaligen „Hotel Stadt Halle“ gebucht hatte.

Dass der 1.Mai nicht gerade der günstigste Reisetag in die DDR war, sollte sich bald zeigen. Wir starteten sehr früh morgens von Göttingen zum Zonengrenzübergang Duderstadt/Worbis. Dort war keine Menschenseele unterwegs, nur eine Grenzbeamtin kassierte unsere Pässe ein. Sie verschwand damit, und wir warteten und warteten mit Bangen! Nach einer halben Stunde wurde unser Auto dann genau durchsucht und anschließend die Motorklappe mit einem lauten Knall fallen gelassen.

Ich wurde gefragt, was ich denn als Westdeutsche in der DDR wollte. Ich sagte, dass wir Halle und die Umgebung besuchen wollten, die Heimat meines Mannes, die ich gern kennenlernen wollte. Der Fokus bezog sich nur auf mich, ich war wohl als Westdeutsche für die Behörden interessanter, meine beiden Mitreisenden blieben unbeachtet.

Als wir endlich weiterfahren durften, kamen wir allerdings nicht weit. Bereits in Worbis wurden wir aufgehalten und mussten uns gezwungenermaßen den 1. Mai-Umzug ansehen. Ähnliche Staus gab es in vielen kleinen Orten, durch die wir kamen. So hatten wir von 1. Maifeierlichkeiten erst einmal genug! Die Straßen waren auch nicht gerade eine Freude und so verging der Tag, an dem wir gerade mal 150 km gefahren sind!

Kurz vor unserem Hotel in Halle mussten wir, um auf die Hochbrücke zu gelangen, für uns unüblich, links auffahren. Oben angekommen hatte ich mich nicht sofort rechts eingeordnet! Ich hatte mich wohl verkehrsmäßig nicht richtig verhalten. Dies schien an dieser Stelle häufig zu geschehen, denn es war sofort ein Volkspolizist zur Stelle, der mich anhielt. Der Schreck fuhr uns in die Glieder. Hatten wir doch so viel von der Willkür der „Vopos“ gehört. Was wir immer vermeiden wollten, war nun geschehen! Wir waren in die Hände eines Polizisten geraten.

Ich stieg aus und hörte mir seine Verwarnung an. Trotzdem hatte ich noch die Courage zu sagen: „Sie kommen mir wie gerufen und können mir sicher den Weg zum Hotel Stadt Halle zeigen!“ Das Wort Hotel löste eine sofortige Freundlichkeit dieses Ordnungswächters aus. Fast nahm er mich in den Arm, um mir den Weg zu beschreiben. Mein Herzklopfen und meine Angst hatte ich damit überspielt, und wir erreichten unbeschadet das Hotel.

Beim Abendessen und Frühstück im Hotel saßen wir in abgetrennten Räumen, fern der Ostdeutschen Gäste und wurden am Buffet grundsätzlich, nur weil wir Westdeutsche waren, mit Vorrang bedient. Diese Sonderstellung war uns unangenehm und bedrückte uns. Die gleiche Bevorzugung erlebten wir an einer Tankstelle, als wir aufgefordert wurden, an einer Schlange wartender Trabbis vorbei zu fahren, um tanken zu können. Auch das beschämte uns sehr!

Etzdorf/Steuden

Gut EtzdorfDer erste Tag unserer Reise galt dem Besuch von Etzdorf. Wir fuhren mit dem Gefühl los, eine „Wanze“ könnte an unserem Auto angebracht sein. Eingeschüchtert von der Warnung, dass Reisende oft bespitzelt würden, unterhielten wir uns nur über Belanglosigkeiten; nur keine Kritik üben oder über Politik sprechen!

Kurz vor dem Ortsschild Etzdorf wieder ein kurzer Schreck! Uns kam ein Trupp marschierender Soldaten entgegen. Ein für uns ungewohnter Anblick. Wir hielten am Straßenrand an und ließen die Soldaten passieren. Zum Glück wollte niemand etwas von uns. Dann fuhren wir mit bangen und neugierigen Gefühlen am Gutshof vorbei nach Steuden. Dort stellten wir unser Auto mit dem westdeutschen Kennzeichen unverfänglich am Friedhof ab, um die Grabanlage der „Schröders“ zu besuchen. Später gingen wir zu Fuß nach Etzdorf. Auf diesem Weg tauchten bei Sigrid und Marie-Luise viele Erinnerungen auf, war diese Straße doch früher ihr täglicher Schulweg.

Am Ortseingang in den ersten Häusern besuchten wir unangemeldet das Ehepaar Feige (Herr Feige war früher auf dem Gut als Chauffeur und teilweise in der Schmiede tätig. Frau Feige half bei der Wäsche im Gutshaushalt.). Sigrid, die Älteste von uns dreien, erkannte den Eingang zum Haus Feige schnell wieder. Herr Feige öffnete uns die Tür und war sprachlos vor Überraschung und Freude über unser Kommen. Frau Feige saß in der Küche am Herd. „Hier sah es immer noch aus, wie früher in unserer Kindheit“, erzählten mir Sigrid und Marie-Luise später. Gerührt von unserem Besuch wurde gleich die gute Stube geöffnet, Kaffee gemacht und mit ALTEN Fotos wurden Erinnerungen von früher geweckt. Es gab viel zu erzählen. Ein unvergesslicher Besuch! Eine nette Entdeckung: Im Garten von Feiges gab es noch ein „Herzchen Häuschen“.

Als wir später nach Halle am Haus von Feiges vorbeifuhren, stand Herr Feige still am Gartenzaun und sagte uns auf diese Weise „Auf Wiedersehen“, aber ohne zu winken. Sollte niemand merken, dass ihm das westdeutsche Auto bekannt war?

Zum Gutshaus gingen wir durch die Lindenstraße bis zum Tor mit einem Gefühl der Neugierde und Angst, um einen Blick in den Hof und auf die Gebäude zu werfen. Der graue und triste Eindruck des Gutes stimmte uns traurig und nachdenklich, aber dennoch waren wir froh, dass das Gutshaus noch intakt zu sein schien und nicht dem Verfall preisgegeben war. Wir wagten uns nicht weiter auf das Gelände, um nicht aufzufallen. Schade eigentlich, dass wir so voller Vorbehalte waren. Vielleicht hätte man uns einen Einblick gewährt in unser ehemaliges Zuhause. Von der Lindenstraße nahm ich einen kleinen Stein mit, den sich mein Schwiegervater in Silber fassen ließ. Dieses Mitbringsel hat ihn sehr bewegt.

Aus heutiger Sicht bewerten wir es als einen Glücksfall, dass Herko Hayessen, ein Vetter der Schröders, das Gut nach der Wende zunächst pachten und später kaufen konnte. Inzwischen haben sein Sohn Jürgen und Frau Theresa mit viel Engagement und Kreativität das Gut neben dem Ackerbau zu einem Treffpunkt für Kultur und Festlichkeiten werden lassen.

Leipzig

Messe LeipzigDer zweite Tag führte uns nach Leipzig. Ich hatte jahrelang einen brieflichen Kontakt mit einer Dame aus Leipzig, der ich auch Pakete schickte, aber sie nicht persönlich kannte. Ich hatte ihr brieflich mein Kommen angekündigt und als Treffpunkt Auerbachs Keller genannt. Wir entdeckten sie gleich am verabredeten Erkennungszeichen. Eine Weile dauerte es, bis wir ins Restaurant eingelassen wurden. Unser Wortwechsel mit unserem Gast war karg, es kam kein richtiges Gespräch in Gang. Das löste sich erst bei Tische auf, als sie hörte, dass wir alle drei aus dem Westen kamen. Ich hatte (wohl doppelsinnig) geschrieben: „Ich komme mit meinen Schwägerinnen aus Halle“. Sie war wohl irrtümlich der Meinung, die Schwestern lebten in Halle und war deshalb aus bekannten Gründen sehr zurückhaltend mit ihren Äußerungen. Nach dieser Richtigstellung hatten wir noch einen sehr vergnügten Tag und erlebten bei einem Bummel gemeinsam das Zentrum der Messe-Stadt Leipzig.

 

Halle/Edderitz

Unser letzter Tag war dann der Stadt Halle gewidmet. Wir schlenderten durch die Leipziger Straße. Mehrere Häuserfronten waren nur durch Stützpfeiler gesichert, dahinter Trümmerschutt. Wir kamen zum Marktplatz mit der Marktkirche und dem Rathaus. Wir wollten im Ratskeller zu Mittag essen. Die Speisekarte war vielversprechend und wir wählten aus. Bei der Bestellung wurde uns allerdings mitgeteilt, dass es heute leider nur Hühnchen gibt. So aßen wir eben Hühnchen mit dem DDR-typischen Aluminiumbesteck!

Am Nachmittag fuhren wir zu einer ehemaligen Schulfreundin von Sigrid nach Edderitz. Die Fahrt dorthin war ein einziges Gerappel auf den Kopfsteinpflastern, und ich betete, dass die Stoßdämpfer meines Autos diese Strecke durchhalten. Sigrid freute sich über dieses Wiedersehen, und wir genossen einen netten Nachmittag, an dem die gemeinsame Schulzeit der beiden wieder lebendig wurde.

Rückkehr

Diese drei Tage waren wohl die emotionalste Reise meines Lebens. Ich habe die allgegenwärtige Befangenheit und die Angst, etwas falsch zu machen, bis ins Innerste gespürt. Wir hatten nichts Gedrucktes im Auto, keinen Fotoapparat mitgenommen und nur das Nötigste für das tägliche Leben eingepackt.

Aber die Erinnerung an diese aufregenden Tage in der DDR möchte ich nicht vermissen!

Außerdem konnte ich jetzt vielmehr ermessen, wie schmerzlich es für die gesamte Familie damals gewesen ist, einen Besitz wie Etzdorf und somit die Heimat mit allen lieben Menschen verloren zu haben.

Nach Göttingen zurückgekehrt empfingen uns erwartungsvoll meine Schwiegereltern und hörten tief bewegt unsere Erlebnisse und Berichte aus der „Alten Heimat“. Leider erlebte mein Schwiegervater die Wende nicht mehr, er starb im Dezember 1984.

Bericht von Helga Schröder-Etzdorf, geb. Eggert

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