Wie füttert man zwei Esel – Teil 4

…oder die ungewöhnlichste Wanderung der Familie Tantz (Teil 4)

Tag 4

von Seehausen zurück nach Flieth-Steglitz

Am letzten Tag unserer Reise wachten wir mit der Sonne auf und machten uns früh auf den Weg. Edna und Elias warteten schon ungeduldig, irgendwie wollten wir dann alle nur noch weg von diesem Hof in Seehausen, nachdem wir uns am Tag zuvor so unbeliebt gemacht hatten. Nach dem Frühstück schnürten wir also flugs unsere Päckchen und wanderten in Richtung Dorfausgang, um uns recht bald den ersten Rastplatz zu suchen und die Esel frühstücken zu lassen. Dabei passierten wir einen kleinen Hofladen. Nachdem wir am Ortsausgang eine idyllische Wiese am Waldrand gefunden hatten, hievten wir das Gepäck wieder ab und ließen uns nieder.

Die Esel begutachteten wohlwollend den saftigen Rasen. Marcel indes ließ uns drei allein dort und kündigte an, gleich zurück zu sein. Naja, was heißt schon gleich… Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er wieder mit 2 Bier für die Mittagspause und leuchtenden Augen. Er erzählte von einem inspirierenden Gespräch mit dem Besitzer des kleinen Hofladens, an dem wir zuvor vorbeigekommen waren. Beide Männer waren sich einig, dass wir in unserer leistungsorientierten Gesellschaft immer oder jedenfalls sehr oft auf der Überholspur unterwegs sind und uns damit so viel an Lebensqualität nehmen. Die Geschwindigkeit, die wir zu Fuß mit den Eseln zurücklegten, ist eigentlich die uns angemessene. Das war jahrhundertelang die ganz normale Geschwindigkeit… Die Esel schauten interessiert zu uns herüber, während wir noch etwas weiter philosophierten, so als ob sie belustigt feststellten, dass wir es endlich kapiert haben.

Weiter ging der Weg nach Flieth-Steglitz durch sanfte Hügel und durch malerische Landschaften, die bis zum Horizont reichten. Die Luft war klar und frisch und das Zwitschern der Vögel begleitete uns auf unserem Weg. Wir spürten Freiheit und Zufriedenheit, zum ersten Mal konnten wir die Wanderung ein wenig genießen, jetzt wo sie fast vorbei war.

Nach der nächsten Pause führte der Weg über größere Abschnitte auf Straßen entlang und durch Wohnsiedlungen. Immer wieder trafen wir auf Wanderer und Radfahrer aus sämtlichen Bundesländern, die sich ausgerechnet dort mit uns unterhalten wollten. Jedes Mal gab es ein großes Hallo und Gelächter und interessierte Fragen, was es mit unserer Wanderung auf sich hatte. Nicht selten erzählten die Leute uns ihrerseits wundersame und lustige Geschichten aus ihrem Leben.

Unsere nächste Pause verbrachten wir sehr gemütlich in einem ruhigen Wald auf einer Lichtung, Marcel hatte sich zum kurzen Mittagsschläfchen niedergelassen und Edna und Elias grasten friedlich als gäbe es kein Morgen. Wieder kamen Spaziergänger vorbei und wir fanden uns aufs Neue in einer angenehmen Unterhaltung, bei der wir feststellten, dass diese Leute gute Bekannte unseres ersten Gastgebers Thomas waren. So ein Zufall, wie wahrscheinlich ist es, ausgerechnet in diesem Wald auf Bekannte von ihm zu treffen?

Wir setzten uns wieder in Bewegung und liefen an einem Waldrand entlang. Der Waldweg war sehr sandig und das Gehen fiel nicht leicht. Plötzlich ließ Elias sich in den sandigen Boden fallen und wälzte sich hin und her. Überrascht blieben wir stehen und sahen ihm verwundert zu. Offenbar wollte er sein Fell vor Insekten schützen oder ähnliches? Edna stand neben mir und stierte ebenfalls in Elias‘ Richtung. Einem Instinkt folgend sah ich kurz zu ihr und konnte im letzten Moment nur noch ins Gras am Rand des Weges springen, da auch Edna das Wälzen im Sand für eine gute Idee hielt.

Krachend fiel sie samt Gepäck an der Stelle auf den Boden, an der ich gerade noch gestanden hatte. Sie hätte mich hoffnungslos unter sich begraben. Manchmal hat man einen siebten Sinn. Oder entwickelt man den wieder, wenn man mal Zeit und Ruhe für sich selbst hat?

Nachdem die Esel sich aufgerappelt und wir den Schrecken verdaut und sämtliches Gepäck wieder aufgeladen hatten, trabten wir schweigend weiter. Wir liefen bis wir eine Anhöhe mit einem herrlichen Rundumblick erreichten.

Dort ließen wir uns für eine längere Rast nieder und genossen den Ausblick und das Bier. Motorradfahrer kamen an und planten dort ebenfalls ihre Pause. Natürlich gab es auch hier wieder einen anregenden und lustigen Austausch, konnten unsere Fortbewegungsmethoden doch unterschiedlicher nicht sein. Am Ende der Pause an diesem romantischen Rastplatz entstand das folgende Bild, was den magischen Augenblick für uns für immer festhält.

Trotz dieser erfrischenden Pause merkten wir inzwischen, dass unsere Kräfte schwanden. Wir kamen danach nur langsam voran. Zwar waren die Strecken im Einzelnen gut zu bewältigen, jedoch sind die ungewöhnlichen Situationen, in die einen die Esel mitunter bringen, als gewisser Stressfaktor nicht zu unterschätzen. Ganz davon abgesehen, dass man immer befürchtet, die Esel streiken mal wieder und das Ziel liegt – zeitlich – in weiter Ferne. Denn laut Eselbesitzerin Katrin musste man die Hälfte der Strecke immer spätestens bis 13 Uhr bewältigt haben. Und das allein könnte man schon nicht mehr beeinflussen, wenn die Esel nach dem Frühstück keine Lust mehr gehabt hätten. Aber an diesem Tag liefen die Eselchen brav neben uns her und machten keine Anstalten auf „stur zu schalten“. Als wüssten sie, dass heute der letzte Tag ist, der sie nach Hause führte. Und ein bisschen bildeten wir uns auch ein, dass sie uns inzwischen mögen würden.

Die nächste Pause bewies, dass wir uns dahingehend nicht geirrt hatten. Wir waren auf einer winzig kleinen Waldlichtung mit besonders saftigem Gras mit den Eseln allein und packten unsere Brotbüchsen aus. Versunken aßen wir schweigend unser Mahl und die Esel genossen den Rasen. Plötzlich wurde Marcel von hinten angestupst. Unbemerkt hatte sich Elias angeschlichen und lugte ihm über die Schulter. Dann schmiegte er sich zärtlich an seine Wange. Da dies ein paar Minuten lang andauerte, gelang mir ein schönes Foto. Später kam auch Edna nah an mich heran und blinzelte mich freundlich an. Auch sie schien sich auf besondere Weise verabschieden zu wollen. Da wussten wir, wir sind nun endgültig in die Eselherde aufgenommen :).

Verträumt gingen wir nach dieser Pause weiter, wohl wissend, dass unsere Reise heute ihr Ende finden würde. Etwas wehmütig trabten wir durch den heißen Tag, ein Häschen hüpfte vor uns über die Wiese, Blumen standen am Wegesrand und wir genossen die scheinbar unberührte Natur in diesem Abschnitt unseres Weges. Eine erhabene Ruhe und Gelassenheit breiteten sich aus, für den Moment war alles so, wie es sein sollte.

Dann verlangte uns das letzte Stück zurück zur Heimat der Esel nochmals alle Kräfte ab, da es über sehr sandige Wege und teils wieder über relativ stark befahrene Straßen führte. Dort hofften wir immer inständig, dass die beiden nicht doch noch mitten im Weg stehenblieben, noch dazu in dieser sengenden Hitze. Unsere Sorge war jedoch unbegründet und wir erreichten am Nachmittag überraschend plötzlich und pünktlich den Eselhof. Elias und Edna ließen sich das Gepäck abnehmen und gestalteten den Abschied hier recht unspektakulär. Freudig hüpften sie ihren Eselfreunden entgegen und schauten sich nicht noch einmal nach uns um. Das war‘s nun. Wir sahen ihnen verdattert nach und uns erstaunt an. Jetzt verstanden wir, dass die Kuschelstunde im Wald deren Verabschiedung von uns war. Im Gegensatz zu uns hatten sie gewusst, dass dies die letzte Pause gewesen war.

Lektion: Esel sind deine besten Freunde, wenn du sie lässt – wir werden uns wiedersehen!

Epilog

Ursprünglich wollten wir die letzte Nacht – genau wie die erste – im gemütlichen Schäferwagen neben der Koppel der Esel verbringen. Leider gab es jedoch einen Buchungsfehler, sodass unsere Gastgeberin uns kurzerhand in einem anderen Hotel der Umgebung einquartierte. Dieses Hotel befand sich ausgerechnet in Seehausen, wo wir heute früh so hastig aufgebrochen waren. Glücklicherweise bekamen wir aber nicht das Hotel, in dem Edna alle Fahrräder umgerissen hatte, so dass es für uns akzeptabel war. Wir machten auf dem Weg dorthin noch einen Abstecher zu einem der zahlreichen romantischen Badestellen im Naturbad am See. Nach den doch einigermaßen anstrengenden letzten Tagen erfrischten wir uns im kühlen Wasser und so langsam merkten wir, wie die Anspannung von uns abfiel. Marcel machte eine schwarzhumorige Anmerkung (die ich hier nicht wiedergeben möchte) und wir lagen uns minutenlang lachend in den Armen bis uns die Tränen kamen. Was war das für eine Schnapsidee gewesen, 4 Tage mit 2 Eseln durch die Uckermark zu wandern? Aber es war gleichzeitig eine so ursprüngliche und heilsame Erfahrung, die wir nicht missen möchten und so schnell nicht vergessen werden.

Als wir dann abends in unserem Hotel ins Restaurant zum Essen einkehrten, winkten uns aus jeder Ecke fröhlich viele Leute zu, die wir unterwegs mit den Eseln getroffen hatten. Gefühlt saßen an jedem Tisch bekannte Gesichter der letzten 4 Tage. Es gab von überall her witzige Kommentare und Fragen und für uns wurde es ein lustiger Abschlussabend. Mit vielen unvergesslichen Eindrücken im Gepäck machten wir uns am nächsten Tag auf den Heimweg.

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