Eine Hommage an Steuden
Auf einmal ging alles ganz schnell – ein Haus zum Verkauf in Steuden, im Internet entdeckt, angerufen, angesehen und noch am selben Tag die Entscheidung: Dieses Haus soll unser neues Zuhause werden! Wir haben Glück gehabt, das Interesse war groß an dem schönen gelben Haus mit den vielen Zimmern und dem großen Grundstück. Wir sollten also Steudener werden!
Zwei echte Nordhäuser und die kleine Hallenserin mussten natürlich erstmal recherchieren, was es mit dem kleinen Dörfchen so auf sich hat, in dem es, dank des Hühnerhofs, gefühlt mehr Hühner als Einwohner gibt. Das ist schon mal Pluspunkt Nummer eins: ein kleiner Hofladen, wo man zumindest das Nötigste kaufen kann, nicht nur Eier und Nudeln, sondern auch Wurst, Käse etc. Einkaufsmöglichkeiten gibt es auch in Schafstädt und Teutschenthal. Da wir eh Pendler sind und somit zwei Autos haben, ist das für uns kein Thema.
Die Anbindung an Halle, Nordhausen etc. ist durch die nahegelegene A38 natürlich ideal. Einen Kindergarten gibt es im Nachbardorf. Wir lasen Zeitungsartikel darüber, wie hart die Steudener um ihren Kindergarten gekämpft haben. Schade, dass es nicht sein sollte, aber wir waren trotzdem froh, dass der Kindergarten doch relativ nah ist. In Halle müssen viele Eltern einmal quer durch die Stadt, je nachdem, wo sie einen der begehrten Kita-Plätze ergattern konnten. Das ist übrigens auch so ein Thema, was uns schlichtweg vom Hocker gehauen hat. In Halle sollte man am besten bereits mit Kinderwunsch einen Betreuungsplatz anmelden, spätestens aber mit Geburt des Nachwuchses. Wir hatten einen solchen Platz in Halle erhalten, aber mit dem geplanten Umzug wollten wir einen Einrichtungswechsel für unsere Lea vermeiden. Darum fassten wir den Entschluss, sie nach Möglichkeit schon vor dem Umzug ins Eigenheim in Dornstedt in die Kita zu bringen. Wie bereits erwähnt, ist die Anbindung an Halle-Neustadt sehr gut. Die Frage war nur, ob wir so kurzfristig einen Betreuungsplatz bekommen würden, zumal wir noch keine Einwohner der Gemeinde Teutschenthal waren. Umso größer war unsere Überraschung, als uns die gut gelaunte Leiterin der Einrichtung erklärte, dass das kein Problem sei und ab wann wir denn gerne mit der Eingewöhnung beginnen wollten. Leider hat sich nun – vier Jahre später – die Situation auch in Teutschenthal verschärft.
Schon bei der Hausbesichtigung sind uns gleich noch viele weitere positive Eigenschaften von Steuden aufgefallen. Das Dorf ist sehr sauber! Im Vergleich zu Halle-Neustadt, wo wir zuvor gewohnt haben, mag das nicht viel heißen, aber wir waren angetan, wie gepflegt das Örtchen wirkte. Natürlich gibt es auch viele Gebäude, die schon bessere Jahre gesehen haben, aber wo ist das nicht der Fall? Auch die Ruhe haben wir gleich genossen. Ein Highlight für Lea war natürlich der Spielplatz, der das Zentrum des Dorfes bildet. Rutsche, Schaukeln, Karussell, Klettergerüst, Wippen… alles, was Kinderherzen höherschlagen lässt. Dass wir inzwischen sogar WLAN auf dem Spielplatz haben, lässt selbst die Städter in unserem Freundeskreis vor Neid erblassen.
Nun waren wir also Eigenheimbesitzer in Steuden. Von unserer Vorbesitzerin lernten wir schon einiges über unser Häuschen. Früher war es eine Metzgerei. Das Schlachthaus, die Kühlkammer, die Räucherkammer und die Stallungen sind noch Zeugen aus dieser Zeit. Ebenso der Meisterbrief, den uns Frau S. freundlicherweise vermacht hat. Weitere Beweise für die ehemalige Funktion des kleinen Dreiseitenhofes fanden wir bei den späteren Renovierungsarbeiten. Im ehemaligen Verkaufsraum kamen originale Schriftzüge zum Vorschein und bei der Gartenarbeit finden wir auch heute noch immer wieder Tierknochen in der Erde.
Ebenso erfuhren wir von Frau S., durch welche traurigen Umstände wir zu unserem Häuschen gekommen sind. Kurz zuvor verstarb ihr Mann, welcher lange Zeit Bürgermeister Steudens und immer ein respektiertes Mitglied der Steudener Gemeinschaft war, sehr plötzlich. Sein Tod war für alle ein Schock und noch heute merken wir, dass er immer in guter Erinnerung bei den Steudenern bleiben wird. Wenn uns jemand fragt, wo wir wohnen, so brauchen wir nur zu sagen: „Im Haus der Familie S.“ und schon weiß jeder, von welchem Haus wir sprechen. Sowieso denke ich oft, dass jeder in diesem Dorf schon mindestens einmal in unserem Haus war.
Sehr schnell lernten wir auch, dass die Steudener sehr freundlich sind und neue Mitbürger gerne in ihrer Mitte begrüßen. Unsere Nachbarn lernten wir natürlich als erstes kennen. Alle begrüßten uns wohlwollend in der Nachbarschaft und wir sind froh, dass wir mit allen immer wieder so nett schwatzen können, sei es über den Gartenzaun, beim Spazieren oder beim Paket abholen. Man hilft sich gegenseitig und passt aufeinander auf. Da sind Herr und Frau H., die so gerne von ihren Enkeln und Urenkeln erzählen und viele Bäume in unserem Garten noch kennen, als diese bei weitem noch nicht so groß waren. Familie M., die so oft bei uns im Garten gießen, wenn wir im Urlaub sind, und zu Ostern auch gerne mal überraschend Häschen spielen. Familie R., die garantiert das passende Werkzeug hat, wenn bei uns mal etwas fehlt. Herr T., der gut gelaunt vom Fahrrad grüßt. Und natürlich Familie S., aus deren Garten manches Pflänzchen in unseren Beeten stammt. Dieses freundliche nachbarschaftliche Verhältnis ist einer der Gründe, warum ich mich in Steuden so sicher fühle. Während wir uns in Halle manchmal fragten, ob die Nachbarschaft bei einem Einbruch bei uns vielleicht noch zufassen würde, können wir hier beruhigt sein, denn die Steudener kennen sich und Fremde auf dem Grundstück würden sicher sofort auffallen.
Durch den Kindergarten hatten wir auch schon vor unserem Umzug viele andere Eltern und deren Kinder kennengelernt. Ohnehin waren wir von Anfang an von dem kleinen Kindergarten angetan, in dem die Kinder die Namen von allen anderen kennen und auch ohne Probleme die Eltern zuordnen können. Die Erzieherinnen gehen liebevoll mit ihren Schützlingen um, legen aber trotzdem großen Wert auf Struktur, Regeln, Normen und Werte. Wir hatten schon viele Horrorgeschichten von Freunden und Familie gehört. Geschichten von Betreuungseinrichtungen, die eher mit einer Aufbewahrungsanstalt zu vergleichen sind.
Schnell schlossen wir auch Freundschaften mit anderen Eltern und Kindern. Inzwischen vergeht fast keine Woche, in der wir uns nicht mit jemandem zum Spielen verabreden. Lea weiß ganz genau, in welchem Haus welcher Kindergartenfreund wohnt und so hat sie ihre ganz eigene Art, die verschiedenen Ortsteile zu benennen. Mit Kindern ist es meiner Meinung nach immer leichter, irgendwo anzukommen. Auf dem Spielplatz oder beim Spazierengehen trifft man viele Leute und kommt ins Gespräch.
Gerade am Anfang, als Lea noch klein war, sind wir oft spazieren gegangen. Immer wieder gab es neue Ausflugsziele: Ziegenfüttern auf dem Hühnerhof, an der Kirche vorbei zum Spielplatz, zum Teich, wo man mit etwas Glück die Frösche beobachten kann, Enten ansehen bei Pension Lichtenfeld und später entdeckten wir auch den Haushaltswarenladen Probst und den Friseursalon von Frau Grahl. Auf unseren Touren lernten wir die unterschiedlichsten Menschen kennen. So z. B. Frau H., die uns gerne einlädt, ihre Hühner, Enten, Kaninchen und Vögel zu besuchen und gelegentlich auch zu füttern. Sie sagt immer Bescheid, wenn sie wieder kleine Kätzchen hat, die verspielt um unsere Füße toben und sich kraulen lassen. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem sie vor unserer Haustür stand, ein kleines Küken in ihren Händen. Die Küken waren erst einige Tage zuvor geschlüpft und sie wollte Lea unbedingt diese flauschigen, kleinen Piepmätze zeigen. Ich brauche sicher nicht zu erwähnen, dass unsere Tochter hin und weg war. Das bekommt man nur auf dem Land geboten. Hier lernen die Kinder noch, dass Kühe nicht lila sind und woher das Frühstücksei kommt.
Mit den Tieren ist das eh so eine Sache. Wie viele Kinder, wünscht sich natürlich auch unsere Lea ein Haustier. Aus diversen Gründen kommt das für uns nicht in Frage, aber Lea kommt trotzdem auf ihre Kosten. Nachbarskatze Schnurri kommt regelmäßig zu Besuch und lässt sich auch gerne streicheln (besonders, wenn es dafür etwas beim Mittag im Garten oder beim Grillen vom Tisch gibt), und bei Familie M. gibt es dann und wann auch Schildkröten, die dann mit Faszination beobachtet werden.
Aber zurück zu den Steudener Bürgern, die wir so lieben gelernt haben. Mehr als einmal trafen wir auf unseren Touren die Dame, die mit ihrem Fahrrad die Wochenendzeitung verteilt. Frau B. hat immer Zeit, um ein paar liebe Worte zu wechseln.
Es überrascht mich auch immer wieder, wie viele Menschen uns kennen, während ich nicht die leiseste Ahnung habe, wer diese Person ist. Eines Tages standen wir vor der Kirche. Schon lange wollte ich unbedingt einen Blick in das Gotteshaus werfen, denn ich kannte es bisher nur von Bildern. Eines Tages hatten wir Glück und das Tor stand offen. Das Blasorchester hatte gerade im Gemeindesaal geprobt und ein freundlicher Herr schloss uns sogar die Kirche auf. Auf meine Erklärung, wer wir seien, antwortete er nur: „Ich weiß, Sie wohnen im Haus von S.“ Da war ich erstmal baff. Trotzdem habe ich die private Führung sehr genossen und Lea durfte sogar ein wenig auf der Orgel spielen!
Eines Tages stand dann eine weitere junge Frau vor unserem Haus, deren Familie in Steuden jeder kennt: Susanne R. „Ich bin eine Schulfreundin von K. und sie hat mir erzählt, dass Sie was mit Sprachen machen…“ Noch so eine Dorf-Eigenschaft: der Buschfunk funktioniert! Über Familie R. lernten wir auch den OEKU kennen. Auf meine Frage, wie man den Verein finanziell unterstützen können, denn ich fand es toll, dass der OEKU in Steuden so viele Aktivitäten organisierte, schlug sie mir gleich eine Mitgliedschaft vor. Okay, dachte ich, warum nicht. Wir sind zwar schon ehrenamtlich ziemlich aktiv, aber ich kann ja als Fördermitglied ruhig den Verein unterstützen. Schmieds Tochter fackelt aber nicht lange, wenn es um die Aufgabenverteilung geht, und da wusste ich nicht ganz recht, wie mir geschah, als ich aus meiner ersten Mitgliederversammlung gleich mit einer ganzen Reihe an Aufgaben herausging – unter anderem die Mitarbeit am Steudener Brief. Was soll ich sagen… Neinsagen ist nicht gerade eine meiner Stärken…
Aber irgendwie ist es auch schön, einen Beitrag dazu leisten zu können, dass in Steuden etwas passiert. Viele der älteren Steudener erzählen gerne von früher, dass im Ort ständig etwas los war. Heute sei es so ruhig. Natürlich ist das richtig. Die Zeiten haben sich geändert. Die Menschen arbeiten viel und ziehen sich immer mehr zurück. Alle Vereine haben Nachwuchsprobleme und das Ehrenamt hat es schwer, freiwillige Helfer zu finden. Und trotzdem finde ich, dass in Steuden für die heutige Zeit noch einiges passiert. Natürlich sind da die Termine wie Weihnachten mit Krippenspiel oder das Osterfeuer, die es in vielen Dörfern gibt (auch wenn das Osterfeuer nun in Dornstedt stattfindet), aber das Ostereiersuchen auf dem Sportplatz, das Sommerfest der Vereine, das Hoffest des Hühnerhofes, diverse Spieleabende, Baumschmück-Aktionen zu Ostern und Weihnachten und Aktionstage, an denen Vogelhäuschen gebaut, Krokusse gesteckt oder Radtouren unternommen werden, sind alles andere als selbstverständlich in vielen Dorfgemeinschaften.
Wenn es um Events in Steuden geht, dürfen nicht nur die Kirche, der OEKU, der UBV und die Sportvereine unerwähnt bleiben, sondern auch das Rittergut Etzdorf. Die Freundschaft zu Familie H. kam unerwartet und schnell, doch möchten wir sie heute nicht missen. Außer Frage steht, dass das Gut für Kinder ein einziger Abenteuerspielplatz ist: Pferde, Stroh, Traktoren und ein historisches Haus, das einem die Sprache verschlägt. Gepaart mit der Freundlichkeit der gesamten Familie, kann man nicht anders, als sich in Etzdorf wohlzufühlen. Hinzukommt, dass Theresa H. förmlich übersprudelt mit immer neuen Ideen, wie man das Objekt nutzen kann. Das Gut erfreut sich immer größerer Beliebtheit als Eventlocation und nach jeder Veranstaltung hört man Leute, die sagen: „Schön, dass mal wieder etwas los ist.“ Bei der Generalprobe von RIC kann getanzt und laut mitgesungen werden, beim EBT kommen Bierliebhaber auf Ihre Kosten, Hoffest, Flohmarkt, Weihnachten im Hof… Immer wieder ist was los und jedes Mal freuen sich alle, dass sie mal wieder etwas erleben können.
Dies sind nur einige der Gründe, warum wir uns hier in Steuden zu Hause fühlen und auch nicht mehr hier wegwollen. Ich könnte noch unzählige Menschen aufzählen, die unser Leben seit unserem Umzug nach Steuden bereichert haben – Eltern aus der Kita und ihre Kinder, Mitglieder des OEKU und andere Bekannte. Ich hoffe, dass all diese lieben Menschen wissen, wie sehr wir sie schätzen. Wie sehr wie es schätzen, dass sofort unzählige Hilfeangebote kommen, wenn bei uns an einem Samstagabend im tiefsten Winter die Heizung ausgefallen ist. Wir freuen uns, dass unsere Tochter hier großwerden darf – viel unbeschwerter als sie es in der Stadt jemals gekonnt hätte. Es heißt nicht umsonst: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“. Darum möchte ich allen Steudenern sagen: früher war vielleicht vieles besser und Steuden ist vielleicht auch nicht perfekt, aber trotzdem machen der Ort und seine Bewohner sehr viel richtig. Es ist schön, in Steuden zu leben, und wir wollen hier nie wieder weg!
Ihre Katrin Josephine Wagner und Familie
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Es hat wieder mal sehr viel Spass gemacht zu lesen! Weiter so!