Eve of Destruction

Hartmut Arndt - eve of destruction

Gedanken zu einem alten, aber dennoch aktuellen Song

Ich erinnere mich noch genau an den Sommer 1968. Ich leistete meinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee der DDR ab. Wir befanden uns, wie man uns suggerierte, in einem Manöver irgendwo in Thüringen. Wie wir bald erfahren sollten, ging es aber um die Vorbereitung zur Zerschlagung des Prager Frühlings, einer Bewegung zur Schaffung eines menschlicheren Sozialismus.

Zahlreiche propagandistische Veranstaltungen sollten uns zu der Einsicht gelangen lassen, dass in der damaligen CSSR bösartige konterrevolutionäre Machenschaften im Gange waren, um den Sozialismus zu untergraben.

So gab es auch eine Wandzeitung, wie sie damals üblich waren, auf der neben anderen Gefahren aus dem Westen auch der in der Überschrift genannte Musiktitel als besonders übles Machwerk des Kapitalismus gebrandmarkt wurde.

Beatmusik war ohnehin für die Mächtigen damaliger Zeit ein rotes Tuch. Einhergehend mit diesem Musikstil gab es vor allem in den USA und in Westeuropa ein Aufbegehren der Jugend gegen alte Werte und Traditionen. Es gab auch bei uns schwache Versuche gegen die althergebrachten, auch stalinistisch geprägten Verhältnisse aufzumucken, die aber sofort unterdrückt und staatlicherseits unterbunden wurden. Derselbe Walter, der verkündete, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu bauen, der sagte: „Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt sollte man doch Schluss machen.“ ER und seine Machtstützen wussten wohl, dass die Jugendrevolten im Westen das Zeug hatten, einen Flächenbrand auszulösen. Trotzdem, ganz verhindern ließ diese Bewegung auch bei uns nicht.

Langhaarfrisuren, Miniröcke und Schlaghosen bewiesen, dass auch große Teile der DDR-Jugend von dieser Bewegung beeindruckt waren. Auch bizarre, in der FDJ-Zeitung „Junge Welt“ geführte Diskussionen, ob es z. B. ein Schneider mit seiner Berufsehre vereinbaren kann, Schlaghosen zu nähen, konnten das nicht verhindern. Wir konnten einige Westradiosender empfangen und kamen so in den Genuss, diese Musik zu hören. Aber kurioserweise trug die DDR-Führung selbst zur Verbreitung solcher Musik bei. Der von der NVA betriebene Deutsche Soldatensender (eine geheime Kommandosache) würzte seine an die Soldaten der Bundeswehr gerichtete Propaganda mit flotten Hits aus dem Westen. Damit köderte man auch die eigene Jugend, der es zwar verboten war diesen Mittelwellensender zu empfangen, was aber wenig nützte (auch NVA-Soldaten hörten diesen Sender heimlich). Auch auf diese Art wurde der oben genannte Song in der DDR mehr oder weniger bekannt. Aufgrund mangelnder Englischkenntnisse haben aber die meisten gar nicht verstanden, worum es in diesem Text geht. Es war eben ein flotter Titel wie viele andere auch. Allerdings schien es schon merkwürdig, dass er von USA-Sendern und zahlreichen europäischen Sendern nicht ausgestrahlt wurde, weil er auf dem Index stand und somit verboten war. Gerade wegen dieses Verbotes wurde er für viele junge Leute interessant. Und nun tauchte er auf einer propagandistischen Wandzeitung als Beispiel ideologischer Diversion auf. Damals fragte ich mich, warum gerade dieser Titel so gefährlich sein sollte, konnte aber keine Erklärung finden.

Wie auch immer, die Weltgeschichte nahm ihren Lauf. Jahrzehntelang hörte man nichts mehr von diesem Titel. Er schien in der Versenkung verschwunden. Seit zwei, drei Jahren ist er jedoch wieder öfter in Radio zu hören. Die dadurch geweckten Erinnerungen veranlassten mich, im Internet nachzusehen und so offenbarten sich die damalige Brisanz und gleichzeitig die Aktualität des Inhaltes. Ich möchte es dem interessierten Leser dieser Zeilen überlassen im Internet die Übersetzung ins Deutsche nachzulesen.

Der Text beginnt mit folgenden Zeilen:

„Die östliche Welt ist am Explodieren, Gewalt flammt auf, Kugeln werden geladen…“ (Songtexte.com).

Man wird feststellen, dass eine zornig-resignierte Endzeitstimmung durch den gesamten Text verfolgt wird. In allen vier Strophen werden damalige Zeitphänomene und gesellschaftliche Missstände thematisiert.

Da ist an erster Stelle der damals immer brutaler und grausamer geführte Vietnamkrieg mit immer häufiger eingesetzten Napalmbrandbomben und Entlaubungsmitteln verurteilt, der unerträgliche Dimensionen erreicht hatte. Junge Soldaten wurden in diesen Krieg geschickt, obwohl sie das Wahlalter noch nicht erreicht hatten. Zum anderen wird der kalte Krieg und die ständige Bedrohung der Menschheit durch die Forcierung des atomaren Wettrüstens und die an vielen Orten durch die Großmächte initiierten Stellvertreterkriege verurteilt. Ebenfalls ein Thema ist die damals in China durch Mao entfesselte Kulturrevolution, wodurch einmalige Kulturgüter zerstört und Millionen Menschen verelendeten, in Lager gesperrt oder getötet wurden. Es wird die Rassendiskriminierung und die Benachteiligung der Afroamerikaner sowie die Minderheitenfeindlichkeit der amerikanischen Staatsgewalt angeklagt und Senatoren, die selbstherrlich Entscheidungen fällen und sich an keine gesellschaftlichen Regeln halten. Und schließlich offenbart er die christlich verbrämte Doppelmoral der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht und fordert das sinnlose Töten zu beenden und den Menschen und dem Leben Respekt zu zollen.

Im Refrain heißt es:

„Aber du sagst mir immer und immer, mein Freund,

du glaubst nicht, dass wir kurz vor der Vernichtung stehen“ (Songtexte.com).

Der Inhalt dieses Titels polarisiert heute sicher nicht mehr so wie vor über 50 Jahren, verfehlt aber auch heute seine Wirkung nicht. Wenn auch heute die globalen Probleme auf anderer Ebene stattfinden, so sind sie doch im Grunde die Gleichen wie damals. Das aktuelle Weltgeschehen offenbart täglich, dass wir nicht weit vom Vorabend der totalen Vernichtung stehen.

Hartmut Arndt

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