… mit Pfarrer Jakob Haferland, unserem neuen Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde.
Hildegard Hayessen (H. H.): Lieber Herr Pfarrer Haferland, zuerst einmal ein herzliches Willkommen in unserer kleinen Gemeinde Steuden und Etzdorf! Zugleich ein dickes Dankeschön für Ihre Bereitschaft, uns schon gleich dieses Interview für unseren „Steudener Brief“ zu gewähren. Sie haben nun die Nachfolge unseres geschätzten Pfarrers Volker Rösiger angetreten. Eine ziemliche Aufgabe, denke ich, da unser Pfarrer doch zahlreiche kleinere Kirchengemeinden zu betreuen hatte. Sind Sie denn 1:1 in seine Fußstapfen getreten, oder hat sich etwas geändert durch die Neubesetzung?
Pfarrer Jakob Haferland (J. H.): Liebe Frau Hayessen / lieber Oeku, herzlichen Dank für Ihre Einladung zum Interview. Seit dem 01. September bin ich in Steuden und Etzdorf Pfarrer. Mein Arbeitsbereich erstreckt sich dazu wie bei Volker Rösiger außerdem über Teutschen-thal, Eisdorf, Bennstedt, Köchstedt und Langenbogen. Für die nächsten drei Jahre ist diese Stelle auch erstmal so sicher. 2025 ist dann eine erneute Strukturreform im Kirchenkreis geplant. Da wird sich der Pfarrbereich wahrscheinlich noch einmal verändern. Abgesehen davon verändert sich durch die Neubesetzung einer Stelle aber natürlich immer einiges.
H.: Was meinen Sie damit? Die persönliche Herangehensweise und Organisation des Kirchenalltags oder ganz etwas anderes?
H.: Ich glaube mindestens diese beiden Dinge. Ich denke die Arbeit eines Pfarrers ist schon sehr abhängig von dessen Persönlichkeit, was er mitbringt oder „wie er so tickt“. Und ich glaube da sind Menschen einfach immer unterschiedlich und das bringt dann zwangsläufig eine Veränderung mit sich. Dann ergibt sich bei mir so manches eben auch schlicht durch den Altersunterschied von Volker Rösiger und mir. Das ist ja schon ein (Pfarrer-)Generationswechsel. Das zeigt sich organisatorisch: Das Gemeindebüro erfährt beispielsweise gerade einen kleinen Digitalisierungsschub. Aber vielleicht werden sich da auch Unterschiede in der Theologie und im Pfarrerbild zeigen, mal sehen. Das muss dann aber die Gemeinde beurteilen, die hat ja den Vergleich.
H.: Nun, das klingt sehr spannend und nach neuem Potential in verschiedenste Richtungen. Sie hatten ja schon Berührung mit uns Steudenern (da sind die Etzdorfer inbegriffen) z. B. beim Frauenkreis. Soweit ich mitbekommen habe, ist der „Frische Wind“, den sie „verursacht“ haben, sehr gut aufgenommen worden. Ich persönlich bin auch froh darüber, dass Sie sich mit unserem katholischen Gemeindeassistenten Tim Wenzel gut verstehen und zusammen mit ihm den ökumenischen Erntedank-Gottesdienst gestalten werden. Vermutlich leiten Sie zum ersten Mal eine Pfarrgemeinde. Sie sind aber schon länger hier in der Region, sprich in Halle. Was war zuvor ihr Aufgabenbereich?
H.: Ich lebe seit 2013 in Halle. Aufgewachsen bin ich in und um Görlitz. Das Studium hat mich und meine Frau schließlich nach Halle verschlagen. Im Anschluss daran konnte ich von 2017 bis 2020 auch mein Vikariat in Halle absolvieren. Dafür habe ich in Giebichenstein in der Bartholomäusgemeinde gearbeitet. Im Anschluss bin ich nicht sofort in den Entsendungsdienst, also auf eine Pfarrstelle gegangen, sondern habe zunächst ein Jahr im Kinder- und Jugendpfarramt unserer Landeskirche in Magdeburg gearbeitet. Dort war ich v. a. für das Veranstaltungsmanagement zuständig. Wir haben das Ev. Jugendfestival und den Spielmarkt Potsdam organisiert – allerdings beide Male als digitale Alternativveranstaltung, weil meine Zeit dort voll in die Corona-Pandemie fiel. Ab Frühjahr 2021 habe ich dann als Gemeindepädagoge in verschiedenen Gemeinden in Halle gearbeitet: in Halle-Süd in der Luthergemeinde, Gesundbrunnen und Wörmlitz-Böllberg sowie in Halle-Neustadt und Nietleben. Dort habe ich v. a. mit Kindern, Familien und Jugendlichen gearbeitet. Außerdem hatte ich einen Stellenanteil für das Projekt der Lebenswende in Halle. Ja, und seit September arbeite ich nun erstmals als Pfarrer und darf die Menschen im Umland von Halle kennenlernen.
H.: Etwas Besseres als einen neuen Pfarrer mit einer solchen Vorgeschichte, kann unserer Gemeinde wohl kaum passieren! Ihr Interesse für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird, so hoffe ich, uns, unseren Kindern oder auch Enkelkindern zugutekommen. Wir leben in einer Zeit, in der sich leider viele Menschen nicht mehr gut aufgehoben fühlen in der Kirche und infolgedessen austreten. Stichwort: Missbrauch. Auf welchem Wege, glauben Sie, kann die Kirche das Vertrauen dieser Menschen zurückgewinnen?
H.: Das ist eine schwere und vielschichtige Frage. Ich befürchte, dass wir das Vertrauen von Menschen, die selbst Missbrauch durch Mitarbeitende in der Kirche erlitten haben, nur schwer zurückgewinnen können. Insbesondere, wenn die Betroffenen erleben mussten, dass ihre Fälle durch die Institution Kirche auch vertuscht oder nicht hinreichend aufgeklärt wurden. Hier muss Kirche stattdessen transparent und konsequent agieren. Betroffene müssen als solche anerkannt werden. Täter müssen aufgehalten und zur Rechenschaft gezogen werden. Und wir als Kirche müssen alles daran setzen, Strukturen zu brechen und zu verhindern, die den sexuellen Missbrauch von Menschen ermöglichen. Kirche muss ein sicherer Ort sein. Alles andere widerspricht unserer Botschaft und unserem Auftrag. Ich kann nur für die Evangelische Kirche hier in Mitteldeutschland sprechen, denn da habe ich Einblick: Hier ist man sich dieser Aufgabe bewusst und geht sie an. Ich hatte z. B. erst in der vergangenen Woche eine zweitägige Fortbildung zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt, die alle Mitarbeitenden durchlaufen müssen. Dabei ging es genau darum, sichere Umgebungen zu schaffen, aber auch erste Anzeichen zu erkennen, wenn Menschen in anderen Kontexten Opfer von Missbrauch wurden, um dann helfen und eingreifen zu können. Diese Sensibilität wünsche ich mir für unsere Gesellschaft insgesamt, dass nicht nur Kirche, sondern auch Familien, Schulen und Sportvereine in jedem Fall sichere Orte sind.
H.: Sie haben ganz Recht; Missbrauch gibt es überall, bei weitem nicht nur in der Kirche. Nur dort wird er am wenigsten verziehen und deshalb sehr heftig thematisiert. Für die Abwanderung aus den Kirchen gibt es wahrscheinlich viele andere Gründe. Brauchen wir den Lieben Gott nicht mehr? Kommen wir schon alleine klar?
H.: Ganz offensichtlich gibt es Menschen, die führen ihr Leben, ohne an einen Gott zu glauben und sind damit nicht unglücklich. Wiederum anderen ist ihr Glaube wichtig und sie möchten diese Dimension in ihrem Leben nicht missen. Ich gehöre dazu, denn Gott und der Glaube an ihn gibt mir unheimlich viel. Für mich sind es zum Beispiel Sinn und Hoffnung für mein Leben. Glaube tut mir gut. Mir hilft es in Gott einen Ansprechpartner für all die Dinge in meinem Leben zu haben, die ich nicht in der Hand habe, die man nicht durch eigene Anstrengung verändern kann. Ich glaube, dass Gott uns liebt, das tut gut. Im Glauben finde ich Trost und Kraft in schweren Zeiten. Und nicht zuletzt stiftet der christliche Glaube Gemeinschaft, er verbindet Menschen auf besondere Weise. Dafür bin ich dankbar. Aber das ist sehr vielfältig, für andere Menschen stehen da andere Aspekte des Glaubens mehr im Mittelpunkt. Ich kann nur herzlich einladen, diese Schätze zu entdecken!
H.: Sehr schön, wie Sie das gesagt haben. Danke! Wie wollen Sie junge Menschen, Kinder und Jugendliche, die bisher vielleicht keinerlei Berührung mit dem Christlichen Glauben hatten, für die Kirche gewinnen? Auf diesem Gebiet werden Sie schon Erfahrung gesammelt haben.
H.: Ich möchte Jugendlichen gerne etwas von dem Glauben weitergeben, der mir selbst Kraft und Perspektive gegeben hat und gibt. Dafür braucht es jugendgemäße Formate. Wollen wir Jugendliche also für Gemeinde begeistern, denke ich, muss Kirche – und dazu gehören wir auch als Gemeindeglieder – ihnen an vielen Stellen ein gutes Stück entgegenkommen. Ein Format, das mir sehr am Herzen liegt, sind Freizeiten. Also gemeinsame Jugendfahrten, wo wir eine Woche zum Wandern oder auf Kanu-Tour fahren. Solche Freizeiten sind für das kommende Jahr schon geplant. Darüber hinaus wird sich zeigen, welche Projekte und Angebote sich mit den Jugendlichen zusammen verwirklichen lassen. Denn diese Erfahrung habe ich auch gemacht: dass Jugendliche Räume zur Entfaltung und Beteiligung gerne ausfüllen, wenn man sie ihnen bietet.
H.: Das hört sich gut an. Und ich denke, da ist noch etwas, das junge Menschen besonders ansprechen könnte: Ihre Person. Sie sind (selber) jung, modern und sehr sportlich. Soweit ich gehört habe, ist es nicht nur das Fahrradfahren über längere Strecken, sondern auch noch weiterer Sport, den Sie betreiben. Und wenn jemand wie Sie ganz locker und selbstverständlich Gott ins Gespräch bringt, hat das eine besondere Wirkung.
H.: Das wäre schön und würde mich natürlich freuen. Und ich denke, Sie haben da ganz recht: Bei sozialen Berufen wie z. B. einem Pfarrer spielt die Persönlichkeit natürlich immer eine Rolle. Wenn ich jemandem in dieser Funktion begegne, dann ist da ja der Mensch Jakob Haferland nicht abgekapselt und verborgen, sondern im Gegenteil voll mit drin.
H.H.: Und diesen Menschen Jakob Haferland, der mindestens für die nächsten 3 Jahre die Geschicke unserer Evangelischen Kirchengemeinde leiten wird, haben wir, so denke ich, durch dieses Interview schon ein wenig kennen gelernt. Gibt es denn von Ihrer Seite, Herr Pfarrer, noch etwas, das Sie gern ansprechen möchten? Bisher ging es doch hauptsächlich um unsere Erwartungen an Sie. Wie sieht es denn andersherum aus?
H.: Die Gelegenheit möchte ich gerne nutzen. Ich habe die Dorfgemeinschaft und Kirchgemeinde in Steuden und Etzdorf bisher mit den Menschen, Kreisen und Festen als wirklich lebendig erlebt und ich möchte Sie, also die Leserinnen und Leser, ermutigen, machen Sie da weiter. Bringen Sie sich ein! Sprechen Sie mit den Menschen um Sie herum, wie Sie sich das Leben in ihrem Wohnort wünschen! Sagen Sie uns, was Sie von Ihrer Kirchgemeinde erwarten, was Sie brauchen und vor allem: gestalten Sie sie mit! So wie das Dorf lebt auch Kirchgemeinde davon und wird es in Zukunft noch viel mehr müssen, dass Menschen sich beteiligen. Das gemeindliche Leben kann sich nicht um eine Pfarrerperson drehen. Sondern es dreht sich um Sie, die Menschen, die in Dorf und Gemeinde leben.
H.: Vielen Dank, Pfarrer Haferland, für Ihr leidenschaftliches Schlusswort. Als Katholikin bin ich zwar der evangelischen Kirchengemeinde nicht zugehörig, aber ich würde mir wünschen, dass wir über den „Oekumenischen Freundeskreis“ immer wieder gemeinsam aktiv werden. Alles Gute Ihnen!